Das Gesamtkunstwerk (Teil 2): Was die Hollen erzählen

Es gibt fünf Schlüsselfaktoren der Bodenbildung: Ausgangsmaterial (Gestein), Klima, Organismen, Topografie (Relief) und Zeit. Gestein verwittert, sobald es an der Oberfläche ansteht: aus Granit entstehen sandige Böden, aus Basalt tonreiche usw. Vom Ausgangsgestein hängt es ab, welche Nährstoffe der Boden einmal bereitstellen wird.
Im Kreis Olpe stehen hauptsächlich Gesteine an, die den Säureeintrag aus der Zersetzung von organischem Material nicht gut neutralisieren können.

Deshalb nimmt das Kalkgestein der Attendorn- Elsper Doppelmulde eine Sonderstellung ein. Kalkstein wird vom Regen einfach aufgelöst und übrig bleiben felsige Landschaften mit flachgründigen Böden und zahllosen Höhlen. Es werden Karbonate und andere Basen frei, die Gegenspieler zu Säuren. Unter Laubwald entsteht daher die günstigste Humusform: Mull. Schon nach einem Jahr zersetzt das grabende und wühlende Bodenleben die Laubstreu und versorgt eine unglaubliche Fülle von Pflanzen mit Nährstoffen. Der flachgründige Oberboden ist durch den von wühlenden Tieren eingearbeiteten Humus tiefschwarz gefärbt. Dieser Bodentyp heißt Rendzina und ist der Boden des Jahres 2025.

Neben Edellaubhölzern wie Buche, Linde, Ulme und Esche kommen zahlreiche Sträucher vor, die im übrigen Kreisgebiet nicht oder nur selten anzutreffen sind: Pfaffenhütchen, Rote Heckenkirsche, Seidelbast, Wilde Johannis- und Stachelbeere sowie ein Heer von Kräutern, die im Frühling einen bunten Blütenteppich bilden: Hohler und Gefingerter Lerchensporn, Waldmeister, Bärlauch, Gelbes Windröschen, Nesselblättrige Glockenblume u.v.a.m.
Da die Bäche meist unterirdisch durch das Höhlensystem abfließen, konnten sie die Lößlehmdecke aus der Eiszeit hier nicht wegspülen. Deshalb liegen noch heute die fruchtbarsten Ackerflächen des Kreises Olpe im Umfeld von Attendorn, im Repetal, bei Heggen und Elspe. Unsere Vorfahren kannten ihre Umwelt sehr genau und so darf es nicht verwundern, dass die Siedlungsgeschichte rund um die Karsthöhlen schon früh einsetzt. Die Menschen konnten sich die Natur des Gebietes nur in Mythen erklären. Und so entstanden wohl auch die Hollensagen, die rund um Brilon (Kalkhochebene) und Grevenbrück bzw. Attendorn spielen.

Die Sage von den Hollen, wie sie bei Friedrich Albert Groeteken in den „Sagen des Sauerlandes“ (Grobbel, 1991) nachzulesen ist, habe ich wie folgt zusammengefasst:
Vor langer Zeit lebten in den Höhlen und Spalten des Karsts das Völkchen der Hollen. Welche Gestalt sie besaßen, weiß heute niemand mehr so genau. Sie scheinen manchmal sichtbar, aber nie fassbar gewesen zu sein. Sie besaßen Kostbarkeiten, liefen aber zerlumpt herum. Aber einig sind sich alle Überlieferungen darin, dass sie kleine Leute waren, ein großes Interesse am Wohlergehen der Menschenkinder zeigten und auf vielfältige Weise für das Vieh und damit für den Wohlstand der Bauern sorgten. Als Gegenleistung verlangten sie gewöhnlich nur ein Butterbrot, was ihnen auf den Zaun gelegt wurde. Bauern, denen die Hollen besonders gewogen waren, konnten sich aus bestimmten Höhlen Hilfe herbeirufen oder Gerätschaften ausleihen.

Bitte verwechseln Sie die Hollen nicht mit den Heinzelmännchen, die sicherlich Verwandte im Geiste sind. Diese unterstützen allerdings städtische Handwerker und sind wohl keine direkten Naturgeister. Auch Zwerge können nicht gemeint sein, denn diese tauchen zusammen mit Stollen und eisernen Gerätschaften auf und reagieren leicht aufbrausend. Im Zusammenhang mit vulkanischem Gestein tritt in der Sagenwelt des Sauerlandes auch immer wieder die „Jungfrau unter den Felsen“ - wie ich sie nenne - auf. Aber das ist eine andere Geschichte. Zurück zu den Hollen.
Besonders spannend sind die Geschichten, die davon handeln, warum die Hollen verschwunden sind. Dazu wird Ähnliches aus Scharfenberg bei Brilon sowie aus Melbecke bei Grevenbrück berichtet.
Also: Eines Tages wollte ein Bauer heiraten. Er hatte jedoch keinen Topf, der groß genug gewesen wäre, das Bier für die Festlichkeiten zu brauen. Da er jedoch wusste, dass die Hollen in ihrer Höhle einen großen Kupferkessel besaßen, machte er sich auf den Weg, um, wie es der Brauch verlangte, die Leihgabe zu erbitten. Höflich reif er in die Höhle hinein und trug sein Anliegen vor. Aus Melbecke ist der passende Zauberspruch überliefert:
 „Holle, Holle, Hillemann. Tu dick an un kumme dann!“
Anschließen verlangte es die Höflichkeit, dass man sich respektvoll von der Höhle entfernte und erst nach einer Weile dort wieder nachschaute. Unser Bauer tat so und fand schließlich den gewünschten Gegenstand im Eingang liegen. Er konnte nun sein Bier brauen, die Hochzeit mit allem Drum und Dran feiern und brachte am nächsten Tag -wie es Sitte ist- den Leihgegenstand zur Höhle zurück. Als kleines Dankeschön ließ er einen Liter Bier auf dem Grund des Kessels zurück und machte sich zufrieden auf den Heimweg. Er konnte ja nicht ahnen, was hinter seinem Rücken geschehen sollte. Bedauerlicherweise haben böse Buben den Bauern beobachtet. Sie spotteten: „Der glaubt ja noch an Geister!“ und tranken lachend den Kessel bis auf den Grund aus. Das nahmen die Hollen übel und verschwanden bis auf den heutigen Tag tief in ihren Berg.

Das poetische Bild, wie es die Sage malt, lässt auch heute einen wahren Kern erkennen.
Bei den Hollen handelt es sich wohl um die Personifizierung von Naturkräften, die aus dem Untergrund heraus auf den Menschen wirken. Der Name verweist auf die enge Verwandtschaft mit „Frau Holle“ aus dem Märchen. Diese Gestalt geht auf eine uralte Muttergottheit zurück, die für Fruchtbarkeit, den Kreislauf des Lebens und ewiges Leben steht. Hierzu passt das Motiv der Hochzeit und der Kessel. Er ist ein Geschenk der Erdmutter und stillte zuerst wohl nur den Hunger des Körpers mit nie versiegendem Haferbrei. Der Sinngehalt hat sich im Laufe der Generationen weiterentwickelt. Er spendet im übertragen Sinne Fülle und Fruchtbarkeit und ist Vermittler von Wissen und Weisheit, die aus den Gaben der Natur zusammengebraut werden.
All das geht verloren, weil „böse“ Buben mit ihrer Rationalität die Regeln der Natur nicht mehr respektieren. „Wer nimmt, muss auch zurückgeben!“ und sei es auch nur ein freundlicher, dankbarer Gedanke an die Wildnis hinter dem Zaun. Auf den Boden übertragen heißt das, wer erntet, der entzieht dem Boden Nährstoffe und weil Boden lebt, braucht das Leben neues Futter in Form von organischem Material. Boden darf auch nicht als Grund und Boden verstanden werden, den man besitzen und behandeln kann, wie es einem beliebt. „Alles ist nur geliehen.“ Die folgenden Generationen wollen schließlich auch essen und trinken.
Mein Fazit lautet: Die Böden der Attendorn-Elsper-Doppelmulde sind kostbar und unersetzbar. Sie sollten wie Kulturgüter um ihrer selbst willen geschützt werden. Trotzdem werden sie unentwegt zugebaut, mit Pestiziden und Mineraldünger malträtiert oder der Erosion preisgegeben.
P.S.: Auf Hof Verse in Melbecke sollen die Hollen morgens in aller Frühe still und heimlich im Stall die Pferde gefüttert haben. Auch hier sind sie verschwunden. Der Landwirt erzählte mir die Geschichte, wie sie in seiner Familie überliefert wird. Eine seiner Urururgroßtanten habe nach auswärts heiraten wollen, wo es keine Hollen gab. Deshalb habe sie ihnen aufgelauert, um einen zu fangen und mitzunehmen. Das sei ihr aber nicht gelungen und von nun an habe sein Urururgroßvater auf die Hilfe der Hollen verzichten müssen. Trotzdem habe er, der Erzähler, als kleiner Junge immer im Pferdestall nach dem Eingang zur Hollenhöhle gesucht.
Fotos: Impressionen aus den NSG Breiter Hagen bei Grevenbrück (alle T.Wurm)