Er ist in mehrerlei Hinsicht unsichtbar. Er liegt tief im Schoß der Erde verborgen und findet in Gesetzen und Verwaltungsvorschriften keine Beachtung: der Lebensraum Grundwasser.
Es ist das weltweit größte Süßwasser-Ökosystem. Ja, genau: Auch noch in der kleinsten Ritze im Gestein, da wo Wasser fließt, findet die Wissenschaft Leben. Den größten Anteil
haben winzige Einzeller, Bakterien und aquatische Pilze. Aber es gibt auch größere Tierchen, z.B. Höhlenflohkrebse oder auch Höhlenwasserasseln. Sie füllen einen wichtigen Platz
im Gefüge des Lebens, denn sie weiden die Bakterien- und Pilzbeläge in den Poren des Grundwasserleiters ab und sorgen dafür, dass sie offenbleiben und dass Wasser und Nährstoffe weiter
fließen.
In begehbaren Karsthöhlen fand man in China schon vor Hunderten von Jahren bleiche, blinde Fische. Bekannt, und neuerdings als Statussymbol in Aquarien gehalten, sind der
Axolotl aus Mexiko und sein europäisches Gegenstück, der Grottenolm. Als Anpassung an die ewige Dunkelheit fehlen Höhlentieren oft alle Hautpigmente und die
Augen wurden zurückgebildet. Dafür ist ihr Tastsinn hervorragend ausgebildet. Die meisten der Höhlentiere sind so sehr an ihren Lebensraum angepasst, dass sie das Grundwasser nicht mehr verlassen
können, obwohl ihre Vorfahren aus Oberflächengewässern stammen.
Da es kein Sonnenlicht gibt, können in den Gesteinsfugen keine Pflanzen leben und Photosynthese betreiben. Woher kommt also die Energie, die die Lebensvorgänge antreibt? Sie
gelangt in Form von abgestorbenen Pflanzenteilen u.ä. mit dem Sickerwasser nach unten. Das meiste wird in der Wurzelschicht ab- und umgebaut und wieder den Pflanzen zur Verfügung gestellt, aber
ein kleiner Teil der Nährstoffe gelangt ins Grundwasser und wird da in den Stoffkreislauf eingespeist. Das Zusammenspiel der Organismen sorgt dann dafür, dass praktisch keimfreies Trinkwasser
entsteht.
Das knappe Nahrungsangebot, limitiert die Aktivitäten der Grundwasserorganismen. Weil so wenig Energie und Sauerstoff vorhanden sind, können viele Arten ihren Stoffwechsel
runterfahren und auch die Kälte überstehen. Grundwasser hat in der Regel die Jahresdurchschnittstemperatur der Oberfläche. Das sind bei uns 9C°. All diese Herausforderungen können nur
Spezialisten meistern. Erstaunlicher Weise werden sie im Vergleich zu ihrer oberirdischen Verwandtschaft besonders alt.
Die Wissenschaftler schätzen, dass es weltweit 10.000de Arten im Grundwasser gibt, aber nur tausende sind bekannt. In Deutschland sind etwa 200 Tierarten beschrieben. In
Norddeutschland gibt aber wohl weniger Arten als in Süddeutschland. Wie die genaue Verbreitung aussieht, wurde noch nicht erforscht. Das Ökosystem Grundwasser ist also ein ziemlich weißer
Fleck auf der Landkarte des Lebens. Und es ist vielfältigen Eingriffen ausgesetzt, die wiederum die Selbstreinigungskraft des Grundwassers bedrohen.
Durch übermäßige Wasserentnahmen sinkt der Grundwasserspiegel und Lebensraum geht verloren, das wäre das ultimative Ende. Schadstoffe können weite Teile des Lückensystems für
Grundwasserorganismen unbewohnbar machen. Bei der unterirdischen, oft endemischen Fauna handelt es sich meist um stenöke Arten, Spezialisten für einen Lebensraum mit gleichbleibender Umwelt.
Gelangen Nährstoffe ins Grundwasser, übernehmen systemfremde Oberflächenbewohner den Platz der an Nahrungsmangel angepassten Spezialisten.
„Der Bau, der Betrieb und die Stilllegung geothermischer Anlagen führen zu einer physikalischen, chemischen und biologischen Veränderung des Grundwassers. Vor allem bei offenen geothermischen Systemen können die Temperatur- und Druckänderungen im Grundwasservorkommen gravierend sein. Entgasungen, Veränderungen der Wasserchemie, pH-Wert-Änderungen sowie Verschiebungen der Lösungsgleichgewichte verbunden mit Eisenhydroxid- und Karbonatausfällungen sind möglich. Von einer Beeinflussung der biologischen Aktivität im Grundwasser durch den Betrieb oberflächennaher geothermischer Anlagen ist auszugehen, allerdings besteht hierzu noch Forschungsbedarf. Derartige Veränderungen der Grundwasserbeschaffenheit treten am Standort der Anlage und in ihrem Einflussbereich für die Dauer des Betriebes und möglicherweise darüber hinaus auf.“
Genauso gefährlich sind Temperaturschwankungen. Es reichen wenige °C aus, um die Lebensgemeinschaft zu schädigen. Tiefbohrungen für Wärmepumpen werden zwar als klimaschützend beworben, können
aber fatale Folgen für das Grundwasser haben, denn überall, wo die Lebensgemeinschaft ge- oder zerstört wird, geht auch die Selbstreinigungskraft verloren. Belastetes Rohwasser wiederum erfordert
aufwändige Aufbereitung für die Trinkwassergewinnung.
Leider wird die Biologie des Grundwassers überhaupt nicht überwacht. Es ist wäre zwar nicht einfach, aber trotzdem möglich. Beobachtet werden Menge und chemische Beschaffenheit des
Grundwasserkörpers. Aber Letzteres ist nur eine Momentaufnahme, während Zeigerorganismen als Bio- Indikatoren einen längeren Zeitraum repräsentieren könnten.
Es ergeben sich 3 Forderungen:
1. Ein biologisches Monitoring des Grundwassers sollte den Gesamtzustand erfassen.
2. Dafür müssen geeignete Testorganismen gefunden werden.
3. Veränderungen lassen sich nur in einem Referenzsystem erfassen, das allerdings noch erarbeitet werden muss.